Vor zwei Wochen war ich bei einem Streitgespräch, das anlässlich des zweihundertjährigen Jubiläums der Humboldt-Universität veranstaltet wurde. Thema war die Zukunft der Arbeit im akademischen Bereich.
Die Diskussion war soweit ganz nett, es ging viel um das zeitlich begrenzte PostDoc-Dasein ohne Zukunftsperspektive gegen das auch schön polemisch gewettert wurde. Aber wirklich gefreut hat mich ein Kommentar von Jutta Allmendinger: Dass Innovation häufig aus den verrückten Ideen entstehen würde, und es deswegen für sie als Gutachterin wichtig sei, auch Anträge, die geringe Aussichten auf Erfolg haben, aber wirklich interessante Fragen behandeln, zu befürworten.
Das hat bei mir insofern in negativen Beigeschmack hinterlassen, als dass ich mich frage warum ich selber in den letzten Jahren nicht konsequent versucht habe (wirklich) verrückten Ideen nachzugehen. Denn an verrückten Ideen hat es mir nicht gefehlt! Und ich hatte auch allen Freiraum diese zu verfolgen. Dennoch habe ich es nicht getan und mich stattdessen auf meine “seriöse” Arbeit konzentriert. Warum? Hat es mir an Wagemut gefehlt? An Hartnäckigkeit? An einem lebhaften, heterogenen Umfeld, in dem man auch verrückte Ideen diskutieren kann?
Vielleicht. Aber etwas später kam mir dann noch ein anderer Gedanke, der auch das ungute Gefühl erklärt, dass mich in dieser Diskussion, in der natürlich auch wieder die “Exzellenz” der Forschung/der Universtität/der Wissenschaft beschworen wurde, verfolgt hat:
Die Exzellenz-Rhetorik behindert die Kreativität!
Denn wenn ich eine wirklich verrückte Idee habe, kann ich unmöglich behaupten, diese Idee sei exzellent, bevor ich sie nicht erfolgreich zu Ende gedacht habe. Schließlich weiß ich um die Wahrscheinlichkeit, dass sie zu nichts führt. Da aber gleichzeitig der Anspruch an mich erhoben wird, exzellent zu sein, besteht für mich sowohl ein starker rationaler Anreiz als auch ein psychologischer Druck, lieber konventionelle Fragestellungen zu verfolgen.
Die Exzellenz-Fixierung des (deutschen) akademischen Betriebs setzt die Anreize also so, dass eher “Me-too-Science” produziert wird, als dass echte Innovationen geschaffen werden. In der Mathematik läuft das häufig nach dem Schema: man nehme einen berühmten Satz und versuche ihn zu verallgemeinern oder zu variieren. Dabei sind die berühmten Sätze doch häufig (aber nicht immer) deswegen berühmt, weil sie eine originelle Frage beantworten und damit ein ganzes Feld für weitere Forschung eröffnen.
Dieser Gedanke erinnert mich natürlich an diesen Artikel von Brian Whitworth und Rob Friedman, an den Appell von Peter Krautzberger, es brauche auch “schlechte” Mathematiker, und an das Plädoyer fürs verrückte Denken von Wolf Wagner. Und er wirft die Frage auf, ob es nicht andere Systeme gibt, Wissenschaft zu organisieren und zu finanzieren, die verrückte Ideen dabei fördern, sich zu guten Ideen zu entwickeln.